Otfried Höffe hat die Unterschiede zwischen ethisch-moralischer,
pragmatischer und technischer Ebene am Beispiel der
Ethik sehr prägnant herausgearbeitet (Höffe (2009 [2007]: 22-28, vgl. auch
Höffe 2006 [1996],
Höffe 2004 [2003], Höffe 2012.
"Auf der untersten Stufe bewertet man Mittel und Wege auf ihre Tauglichkeit für beliebige Absichten oder Ziele. [...] Dieses ´gut für (irgend-)etwas´ schließt alles technische, taktische oder strategische, alles instrumentelle, auch funktionale Gutsein ein; es kann im weiteren Sinn des Wortes ´technisch gut´, auch ´fachlich gut´ heißen" (Höffe (2009 [2007]:
23). Hier kommt die technische Rationalität zum Einsatz und generiert technische Imperative, wobei pragmatische und technische Imperative nur hypothetischen Charakter haben.
"Auf der zweiten Bewertungsstufe wird, was man auf der untersten Stufe bloß voraussetzt, das Ziel seinerseits bewertet. Die Bewertung erfolgt mit Blick auf ein Ziel zweiter Stufe" [...] "Ob es um eine natürliche oder eine juristische Person, etwa eine Schule, ein Unternehmen oder einen Staat geht - auf der zweiten Stufe fragt man, ob deren Wohl befördert werde. Auf das ´für etwas gut´ folgt das ´für
jemanden gut´ und auf die technische Stufe von Rationalität die pragmatische Rationalität samt pragmatischen Imperativ" (Höffe (2009 [2007]: 24-25). Auf dieser Ebene gibt es zwei Teilstufen, d.h. mit Hilfe der
pragmatischen Rationalität können individualpragmatische oder sozialpragmatische Imperative erstellt werden. Als eine Sozialpragmatik wird der Utilitarismus mit dem Prädikat ´gut für alle Betroffenen` angeführt.
Die dritte Stufe ist dort gegeben, "wo man auf etwas stößt, das für sich selbst gut ist, gut schlechthin im Sinne von ´einfachhin´: ohne Zusätze und Voraussetzungen. Erst auf dieser dritten Bewertungsstufe wird alle hypothetische Verbindlichkeit aufgegeben und ein hinsichtlich der Verbindlichkeit voraussetzungsfrei, also ein
uneingeschränkt Gutes erreicht. Man nennt es das moralisch Gute
im engen und strengen Sinn" (Höffe (2009 [2007]: 26). Moralische Normen bestehen aus
kategorischen Imperativen. Moral hat daher folgende Eigenschaft: "Hinsichtlich der Verbindlichkeit erhält sie den Rang eines unbedingt gültigen Anspruchs" (Höffe (2009 [2007]: 26).
"Innerhalb der dritten Stufe lassen sich noch zwei Teilstufen unterscheiden. Die untere Teilstufe, die Rechtsmoral, auch (politische) Gerechtigkeit genannt, besteht in Verbindlichkeiten, deren Anerkennung die Menschen einander schulden. [...] Die anspruchsvollere zweite Teilstufe, die Tugendmoral, besteht im verdienstlichen Mehr" (Höffe (2009 [2007]: 27).
"Eine allgemeine, nicht auf einen Lebensbereich beschränkte Ethik müßte dagegen diesen Bereich mitsamt den ihn konstituierenden Prinzipien, wie auch alle Lebensbereiche mitsamt den ihnen verfolgten Zielen, vorgängig einer normativen Beurteilung unterwerfen [...] Als Beispiel für ein sich hierzu reziprok verhaltendes normatives Konzept kann die Ethik-Kants dienen. Sie gründet sich auf die Autonomie der sittlichen Person, die ihre Freiheit - nicht ihre Würde -
dadurch bewährt, daß sie selbst es ist, die das Gesetz gibt, dem sie sich zugleich unterstellt. Dieses Gesetz wird in den verschiedenen Formulierungen des kategorischen Imperativs dokumentiert"
(Wieland 1999: 54).
"Der Anspruch der allgemeinen Ethik zielt dagegen auf das Leben und auf die Existenz der sittlichen Person im ganzen, ohne sich auf bestimmte Sachbereiche einschränken zu lassen" (Wieland 1999: 98).
"Nach diesem ethischen Model (Ethik-Kants Anmerkung JL) werden die Beziehungen zwischen Handlungen und Handlungsfolgen normativ lediglich durch
hypothetische Imperative reguliert. Sie geben an, was unter der Voraussetzung zu tun ist, daß man bestimmte Ergebnisse, Folgen oder Effekte erreichen will. Die Verbindlichkeit des durch seinen
kategorischen Charakter ausgezeichneten Imperativs gründet hingegen nicht in irgendwelchen Erfolgen in der realen Welt, die seine Befolgung in Aussicht stellen würde. Als Prinzip der Ethik stellt er überdies unmittelbare Anforderungen auch gar nicht an konkrete Handlungen, sondern nur an Maximen, auf Grund deren Menschen ihre Handlungsentscheidungen regulieren. Sie fungieren als Primärobjekt der ethischen Grundnorm, weil sie es sind, die den von
dieser Norm vorgezeichneten Test auf ihre zugleich vom Willen zu approbierende Verallgemeinerungsfähigkeit bestehen müssen. Die Maximen stehen indessen allemal in der Macht des Individuums, ungeachtet der Folgen, die seine Handlungen zeitigen. Damit hängt es denn auch zusammen, daß nicht über den Inhalt des Gesollten, wohl aber über den sittlichen Wert einer Handlung letztlich nur die sie veranlassende Motivation entscheidet. [...] Folgenorientierte
Einzelnormen sind möglich, aber sie bedürfen als solche keiner folgenbasierten Begründung, weil eine gültige Begründung immer nur auf die vom Willen getragene Verallgemeinerungsfähigkeit der handlungsleitenden Maxime rekurriert. So ist der Mensch nach der kantischen Sittenlehre gehalten, für seine eigene Person sittliche Vollkommenheit anzustreben, dagegen in bezug auf andere Menschen deren Glück zu befördern" (Wieland
1999: 55).
"Technische Normen gelten im Einzugsbereich vorgegebener Wenn-Dann-Beziehungen. Ethische Normen stellen dagegen auch diese Beziehungen selbst und ihre Voraussetzungen für eine Normierung zur Disposition. Es sind nicht hypothetisch, sondern kategorisch geltende Normen" (Wieland 1999: 95-96).
"Gewiß räumt so gut wie jede ethische Theorie die Existenz von Adiaphora ein, also von Elementen, die von der ethischen Normierung freigestellt sind, oder genauer, deren normative Status durch eben diese Freistellung charakterisiert ist" (Wieland 1999: 83).
"Der Ethiker muß das Faktische gewiß zur Kenntnis nehmen; er kann ihm hingegen niemals normative Kraft zubilligen. Das darf höchstens der Techniker, und dies auch nur insofern, als er Normen entwickeln kann, die dazu bestimmt sind, Optimierungen unter der Voraussetzung von faktischen Vorgaben zu regulieren. Eine Ethik, die sich ihre Aufgaben nicht verkürzen lassen will, darf sich dagegen niemals damit zufrieden geben, lediglich
Handlungsnormierungen unter gegebenen Voraussetzungen vorzunehmen. Sie steht immer in der Pflicht zur Letztbegründung. Auf die Legitimation von nur hypothetisch geltenden Normen darf sie sich auch deswegen nicht einschränken lassen, weil es in letzter Instanz kein hypothetisches Handeln geben kann. Ihre Grundfrage richtet sich ohne Bindung an irgendwelche Voraussetzungen darauf, was der Mensch tun soll. Als Ethik hat sie bereits abgedankt, wenn sie gerade die
zentralen Fragen der Handlungsnormierung aus dem Zugriff ihrer Kompetenz entläßt" (Wieland 1999: 85).
Hans Michael Baumgartner und Albin Eser: "Wir tragen beinahe an nichts mehr die Schuld, statt dessen aber für fast alles die Verantwortung". Dieter E. Zimmer über das von ihm als weihevoll apostrophierte Wort "Verantwortung": "Ich übernehme die Verantwortung sagt der
Politiker gern, wenn er sie sowieso hat und nichts daraus folgt" (beide Zitate zitiert nach (Wieland 1999: 2).
Die Verantwortungsethik von Max Weber (Weber 1973e [1919] und
Weber 1988c [1919]) und Hans
Jonas (1979) beurteilt Wieland wie folgt: "Wenn der Verantwortungsgedanke auch versagt, sobald er als Grundprinzip einer auf ihn zu stützenden allgemeinen Ethik in Anspruch genommen wird, so ist er dennoch geradezu hervorragend geeignet, im Rahmen einer ´Ethik der zweiten Linie´ die Aufgaben eines regulativen Leitprinzips zu übernehmen. Ethiken der zweiten Linie regulieren Lebens- und Sachbereiche, deren Abgrenzungen und Grundnormen bereits
vorgegeben ist." (Wieland 1999: 95-96). Wieland zitiert zustimmend K. Bayertz: Es " ergibt sich, daß jede Theorie der Verantwortung parasität gegenüber einer Theorie der Moral ist: Sie lebt von moralischen Wertungen, die sie selbst nicht begründen kann" (Wieland 1999:
96, Anmerkung 51).
"Schon in ihrer antiken Ursprungsgeschichte fand sie in der Klugheit (phronesis, prudentia) die Tugend, die sich in den einer Ethik der zweiten Linie zugeordneten Lebensbereichen zu bewähren hat. Gerade der Klugheit kommt die Aufgabe zu, jede Handlung in ihrem Kontext zu betrachten, deren Folgen abzuschätzen und bei ihrer Planung in Rechnung zu stellen. Klugheitsregeln lassen sich in der Tat als Sekundärgebote legitimieren, die innerhalb des jeweiligen
Bereichs immer auf Optimierungen zielen. Zumindest der Idee nach setzen sie voraus, daß die Legitimität dessen, was optimiert werden soll, bereits erwiesen ist. Die Klugheit gibt aber selbst keine letzten Ziele vor, sondern setzt umgekehrt diese voraus. [...] Klugheitsregeln haben stets instrumentellen Charakter. Man macht von ihnen Gebrauch, wo Zweck-Mittel-Relationen zu optimieren sind" (Wieland
1999: 97).
3.2 Eigene Position: Praktisch-politische (normative, pragmatische und technische) Begriffe |
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Hier sollen nun existierende Begriffe weiterentwickelt oder neue Begriffe eingeführt werden. Mit Hilfe dieser praktischen Begriffe und ebensolcher methodischer Ansätze soll eine genuin praktische Politikwissenschaft ermöglicht werden. Bei den praktischen (normativen, pragmatischen und technischen) Operationen sowie auch bei den praktischen Begriffen "Handlungsmaximen",
"Handlungsstrategien, "Handlungsinstrumenten", "Handlungsanweisungen" und "praktische Urteile" orientiere ich mich an den insbesondere von Aristoteles und Kant, Wieland und Höffe gemachten Unterscheidungen (vgl. 3.1 Ausgangspunkt: Bewertungsstufen und
Imperative innerhalb eines genuin praktischen Diskurses), die allerdings einige Veränderungen erfahren.
Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie über die
Kompetenz-Kompetenz
verfügt: In diesem Bereich wird erstens festgelegt, welche Probleme öffentlich, welche privat gelöst werden müssen, zweitens werden hier Handlungsmaximen, Handlungsstrategien, Handlungsinstrumente und Handlungsanweisungen entschieden. Weiterhin innerhalb welcher
Subsysteme, welcher Institutionen mit welchen Handlungsstrategien und Mitteln die öffentlich festgelegten und von der Gemeinschaft wahrzunehmenden Aufgaben erledigt werden (z.B. konkrete Ausgestaltung der sozialen Sicherung, vgl. Lauer: soziale-sicherheit.de).
Politik, Kultur, Moral, Recht und Wirtschaft bilden keine unabhängigen Subsysteme, die jeweils einem eigenen
Code gehorchen und
nicht aufeinander wirken (Luhmann 1984,
Luhmann 1988,
Luhmann 1990a,
Luhmann 1997,
Luhmann 2000), sondern sind verschiedene Dimensionen ein und derselben Sache. Änderungen in einzelnen Subsystemen wirken sich mehr oder weniger gravierend auf alle anderen aus. Dies hat nun für eine Untersuchung innerhalb einer praktischen Wissenschaft zur Folge, dass man schon bei der Problembeschreibung die Auswirkungen von konkreten Handlungen und Handlungsstrategien in
möglichst allen oben genannten Bereichen berücksichtigen muss. Wie kann man "den ganzen Elefanten" differenziert wahrnehmen? Wenn man etwa die soziale Sicherheit als Problem behandelt, dann gibt es jeweils eine politische, rechtliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Dimension des Problems.
Zu den
politischen
Handlungsmaximen
(Leitlinien, Maximen, Normen, Prinzipien, Werte und Ziele), kantisch gesprochen Maximen des Handelns, gehören alle Normen, die nur Sollens-Sätze enthalten (ethisch-moralische Normen). Handlungsmaximen bilden das Wertesystem einer Gesellschaft ab. Sie stiften die Identität eines politischen Systems und schaffen den normativen Rahmen für soziale Abläufe, wodurch eine politische
Gemeinschaft an Stabilität gewinnt. Dies gilt sowohl für
Handlungsmaximen im weiteren Sinne
z.B. "Gerechtigkeit“, "Gleichheit“ oder "Fairness“ als auch für sachbereichsspezifische und konkretisierbare Handlungsmaximen für die soziale Sicherheit. Wichtig ist, dass alle Handlungsmaximen, wie David Ross dies für alle ethischen Normen festgehalten hat (Ross 1967 [1930]), Prima-facie-Normen sind, d.h., man
muss sich bewusst sein, dass man aus ethisch-moralischen Normen nicht direkt konkrete Handlungsanweisungen ableiten kann. Für den Bereich der Sozialpolitik unterscheide ich zwischen einer
Kultur der Solidarität und einer Kultur der Eigenverantwortlichkeit.
Es ist wichtig, dass diese komplementär zueinander entwickelt werden (vgl. Lauer: soziale-sicherheit.de. 5. Handlungsmaximen der sozialen Sicherheit).
Unter
politischen
Handlungsstrategien sind Möglichkeiten des Handelns zu verstehen, die noch nicht konkret ausgeformt sind. Diese Strategien geben den Weg vor, der beschritten werden kann, um mit Hilfe von konkreten Handlungsinstrumenten in das soziale Gefüge der Gesellschaft einzugreifen. Dabei handelt es sich immer um Optionen, die je nach Situation gewählt werden können. Handlungssubjekte sind in diesem Fall Vereine,
Familien, Unternehmen, vor allem aber der Staat. Es handelt sich bei den
Handlungsstrategien um technische Regelungen (Seins- und Sollenssätze). Politische Handlungsstrategien sollten erstens auf einer rationalen Analyse aufbauen, zweitens langfristige, klare Ziele vorgeben und drittens erklären, mit welchen politischen Handlungsinstrumenten die für ein Politikfeld geltenden Handlungsmaximen unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Möglichkeiten zu erreichen wären. Das deutsche soziale Sicherungssystem hat fünf
Säulen (Beveridge- und Bismarck-Säule, private und zivilgesellschaftliche Säule sowie die Familien-Säule) und damit fünf unterschiedliche strategische Wege, die Risiken "Armut" und "Krankheit" zu bewältigen. Diese fünf politischen Handlungsstrategien sollten beibehalten und komplementär weiterentwickelt werden (vgl. Lauer: soziale-sicherheit.de. 6.
Handlungsstrategien und -instrumente).
Auf der operativen Ebene sind politische Handlungsinstrumente
die praktische Umsetzung von Handlungsmaximen und Handlungsstrategien, deren konkrete Form auf Handlungsmaximen und Handlungsstrategien beruhen, die ihre Ausgestaltung normativ vorgeben. Dabei handelt es sich immer um Optionen, die je nach Situation gewählt werden können. Handlungssubjekte sind in diesem Fall Vereine, Familien, Unternehmen, vor allem aber der Staat. Es handelt sich bei den Handlungsinstrumenten um technische
Regulierungen (Seins- und Sollenssätze). Das deutsche Sozialsystem kennt folgende gesetzliche Handlungsinstrumente: Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Grundsicherung für Arbeitssuchende (auch Hartz IV oder Arbeitslosengeld II genannt, bis 2005 Arbeitslosenhilfe), Jugendhilfe, Kinder-, Erziehungs- und Wohnungsgeld, Ausbildungs- und Vermögensbildungsförderung, Soziale Entschädigung, Lastenausgleich, Wiedergutmachung, gesetzliche Renten-, Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege-
und Unfallversicherung. Es kommt meiner Meinung nach darauf an, die einzelnen politischen Handlungsinstrumente kohärent nach einer politischen Kultur und einer politischen Handlungsstrategie zu reformieren bzw. weiterzuentwickeln und die einzelnen Instrumente komplementär zueinander auszugestalten und nicht nach einem Patentrezept zu suchen
(vgl. Lauer: soziale-sicherheit.de. 6.
Handlungsstrategien und -instrumente).
Handlungsanweisungen bzw. -entscheidungen findet man auf der operativen Ebene. Handlungsinstrumente bestehen in der Regel aus mehreren Handlungsanweisungen, die eine konkrete Handlung vorgeben, zum Beispiel die Festsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre.