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5. Kapitel: Wissenschaft und Politik: Komplementäres Modell der Politikberatung

Fragestellung: Welchen Beitrag zum politischen Diskurs kann eine wissenschaftliche Politikberatung erbringen?

Ziel: Ein komplementäres Modell der Politikberatung begründen (vgl. 9. Schaubild).

 
   

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Politikberatung
 

 

 

5.1 Ausgangspunkt: Pragmatisches Modell der Politikberatung Seitenanfang

"Dezisionismus und Technokratie sind als Scylla und Charybdis ständige Begleiter und Bedrohung wissenschaftlicher Politikberatung, die sich einem pragmatischen Modell verpflichtet sieht, diese Diagnose ist nach wie vor gültig: `Die eigentümliche Dimension, in der eine kontrollierte Übersetzung technischen Wissens in praktisches und damit eine wissenschaftlich angeleitete Rationalisierung der politischen Herrschaft möglich ist, wird verfehlt, wenn die prinzipiell mögliche Aufklärung des politischen Willens im Verhältnis zur Belehrung über sein technisches Können, sei es zugunsten verstockter Dezisionen, für unmöglich, sei es in Ansehung der Technokratie, für überflüssig gehalten wird (Habermas 1968a, S. 144 ff.)´ " (Grunwald 2008b: 371).

"Die Unterscheidung in technokratische, dezisionistische und pragmatische Politikberatung, wobei die ersten beiden Modelle eher vorhandene Politikberatung deutend beschreiben, während das letztgenannte eine deutlich normative Seite hat, ist nach wie vor treffend, um das Feld in demokratietheoretischer Hinsicht zu charakterisieren" (Grunwald 2008b: 373).

Nicht nur viele Wissenschaftler, sondern auch Politiker bevorzugen eine pragmatische Politikberatung. Die EU-Kommission greift auf das pragmatische Modell von Jürgen Habermas (Habermas 1968b [1963]) zurück und plädiert für eine Demokratisierung der Expertise (democratising expertise) und eine Verwissenschaftlichung der Demokratie (expertising democracy) (EU-Kommission 2001a, EU-Kommission 2001b, EU-Kommission 2002).

Ausgangspunkt: Definitive Antworten von Seiten der Wissenschaft

"Wissenschaft ist ein ernst zu nehmender Partner im Beratungsdialog nur dann, wenn sie als Wissenschaftssystem autoritativ darüber Auskunft zu geben vermag, was nach dem aktuellen Stand der Kenntnis gesagt werden muss, was gesagt werden darf und was nicht gesagt werden darf" (Graf Kielmannsegg 2006: 12-13).


5.2 Eigene Position: Komplementäres Modell der Politikberatung Seitenanfang

Wissenschaft liefert immer hypothetische Antworten in Form von Wissen, Politik hingegen mit Hilfe von politischen Institutionen definitive Antworten, die in späteren Entscheidungen allerdings revidiert werden können. Ein komplementäres Modell der Politikberatung ist meiner Meinung nach besser geeignet, Wissenschaft und Politik sollten als komplementäre Systeme mit unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen aufgefasst und verstanden werden.

"Aber Politik gehört allerdings auch nicht dahin von Seiten des Dozenten. Gerade dann nicht, wenn er sich wissenschaftlich mit Politik befaßt, und dann am allerwenigsten. Denn praktisch-politische Stellungnahme und wissenschaftliche Analyse politischer Gebilde und Parteistellung ist zweierlei. [...] Verlangen kann man von ihm nur die intellektuelle Rechtschaffenheit: einzusehen, daß Tatsachenfeststellung, Feststellung mathematischer oder logischer Sachverhalte oder inneren Struktur von Kulturgütern einerseits, und andererseits die Beantwortung der Frage nach dem Wert der Kultur und ihrer einzelnen Inhalte und danach wie man innerhalb der Kulturgemeinschaft und der politischen Verbände handeln solle, - daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme sind. Fragt er dann weiter, warum er nicht beide im Hörsaal behandeln solle, so ist darauf zu antworten: weil der Prophet und der Demagoge nicht auf das Katheder eines Hörsaals gehören. Dem Propheten wie dem Demagogen ist gesagt: ´Gehe hinaus auf die Gassen und rede öffentlich.` Da, heißt das, wo Kritik möglich ist" (Weber 1973e [1919]: 601-602 [543-544]).


5.2.1 Aufgabe der Wissenschaft Seitenanfang

Aufgrund der Grenzen wissenschaftlicher Diskurse kann Wissenschaft nie autoritative, sondern nur hypothetische Auskünfte geben (vgl. Lauer: praktische-wissenschaften.de.  3.2 Wissenschaftstheoretische Grundlagen: Grenzen, Kriterien und Eigenschaften wissenschaftlicher Diskurse).

Eine weitere Aufgabe besteht darin, mit Hilfe wissenschaftlicher Werkzeuge (vgl. Lauer: praktische-wissenschaften.de.  3.3 Wissenschaftliche Werkzeuge: Begriffe, Sätze, Theorien, Logiken, Argumentationsweisen, Methoden und methodische Ansätze) Diskurse führen und hypothetische Antworten auf politisch-praktische Fragen in Form von empirischen und praktischen Wissen begründen. Weiterhin kann man innerhalb von wissenschaftlichen Diskursen Ideologiekritik betreiben, d.h. Ideologien, subjektive Meinungen und Stammtischparolen entlarven.

Wissenschaftliche Besonderheiten:

  • Eine advokatorische Eigenschaft ist der Wissenschaft inhärent und muss von einer
  • Manipulation durch Interessen sowie durch eine demokratisch legitimierte Auftragsforschung unterschieden werden.
  • Zurückzuweisen ist nur die Manipulation durch Interessen.

5.2.2 Aufgabe der Politik bzw. politischer Institutionen Seitenanfang

Die Aufgabe der Politik bzw. politischer Institutionen besteht darin, mit Hilfe von politischen Diskursen und politischen Entscheidungsverfahren definitive Antworten in Form von Entscheidungen zu treffen und damit gleichzeitig die Haftung für alle mit einer Regulierung verbundenen Folgen zu übernehmen. Wie Entscheidungsverfahren und damit Legitimität am besten begründet werden kann, ist wiederum eine Aufgabe einer praktischen Politikwissenschaft (vgl. dezisionistischer Ansatz).

Die Politik kann nicht, wie das pragmatische Modell der Politikberatung meint, die Rationalität von Expertisen verbessern (das Gegenteil wird bewirkt, wenn politische Interessen berücksichtigt werden), sondern nur zwischen verschiedenen Regulierungslösungen eine (demokratische) Wahl treffen: Nur eine Einbindung der Expertise (expertising democracy) ist angemessen, nicht dagegen eine Demokratisierung der Expertise (democratising expertise).

Politisches Handeln und politische Regulierung kann nicht nur an zwei Kriterien (demokratischer Input und technokratischer Output) gemessen werden. Die Legitimität erfordert noch weitere Kriterien, allein im Artikel 20 des Grundgesetz sind drei Kriterien angegeben: demokratischer und sozialer Rechtsstaat.

"Für kurzfristige Entscheidungen bleibt die demokratische Methode, nur die Hände, nicht die Gründe zu zählen, oft als einzige" (Lorenzen 1978: 163).

In allen wissenschaftlichen Diskursen (deskriptiven, explanativen, prognostischen, normativen, pragmatischen und technischen Diskursen) werden nur die Gründe gezählt und empirisches und praktisches Wissen generiert. Innerhalb von politischen Institutionen werden zwar Gründe und Interessen abgewogen. Sofern es sich um demokratische Systeme handelt, sind bei definitiven Entscheidungen die Hände ausschlaggebend (vgl. dezisionistischer Ansatz).

Es wird immer Expertisen und Gegenexpertisen geben, dies ist auch nicht verwerflich, weil man auch wissenschaftlich verschiedene Regulierungen z.B. im Bereich der Sozialpolitik begründen kann. Wichtig ist aber, dass man zwischen Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Analysen auf der einen Seite und geistigen (vulgär-liberalen, vulgär-marxistischen und pseudowissenschaftlichen) Brandstiftern und ideologischen Meinungsäußerungen auf der anderen Seite unterscheidet. Dies geht dann am besten, wenn die zentrale Bedeutung wissenschaftlicher Werkzeuge und metatheoretischer Fragestellungen anerkannt wird und alle Regulierungsvorschläge anhand der oben geschilderten Ebenen wissenschaftlicher Analyse evaluiert werden (vgl. Lauer: praktische-wissenschaften.de. 2. Schaubild).




 5. Politikberatung 6. Zusammenfassung 7. Ausblick 8. Quellenverzeichnis 9. Literaturverzeichnis

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Quelle:
praktische-politikwissenschaft.de/index.htm

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